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AutorenbildMolina Budnick

„Es gibt ein bisschen zu viel Suchen nach Spaß [heutzutage]!“

Konzepte wie New Work (mehr Infos im Artikel „The Future is now ... oder?“ auf S. 32) deuten auf einen grundlegenden Wandel in der Arbeitswelt hin. Wir fragen drei Generationen einer Familie, was Arbeit für sie bedeutet und wie sich das Arbeitsleben in ihren Augen verändern wird.


Tochter Lara

Lara befindet sich derzeit im Masterstudium (Psychologie) in Leiden, Niederlanden. Mit 25 Jahren ist sie Vollzeitstudentin und angehende Therapeutin.


Vater Jochen

Jochen (53) studierte Germanistik und lebt derzeit in Hamburg. Neben seiner freiberuflichen Tätigkeit als Journalist ist er Podcaster und Autor.


Oma Inge und Opa Alfred

Oma Inge (78) und Opa Alfred (85) wohnen in Graben-Neudorf bei Karlsruhe, das Familienleben konzentriert sich aber auf Hamburg. Beide haben eine Ausbildung absolviert. Inge war früher Angestellte bei der Sparkasse und hat dann eine Rolle zu Hause übernommen. Alfred war Leiter der örtlichen Sparkasse.

 

Molina für GENZ: Steigen wir direkt groß ein: Welche Bedeutung hat Arbeit für dich im Leben, Lara?


Lara: In meinem Leben dreht sich letztendlich sehr viel indirekt um Arbeit. Ich verbringe die meiste Zeit damit, darauf hinzuarbeiten, einen bestimmten Beruf ausüben zu können. Es ist egal, wie weit ich in die Zukunft denke, Arbeit ist immer ein wichtiger Teil davon. Es ist mir aber sehr wichtig, auch noch Raum für andere Dinge in meinem Leben zu haben. Ich würde es schlimm finden, wenn ich nur arbeite – ich gehe morgens aus dem Bett, gehe zur Arbeit, ich komme zurück und ich gehe wieder schlafen.


Wie erinnert ihr, Inge und Jochen, euch an die ersten Jahre im Arbeitsleben?


Inge: Egal, wo ich war, die Arbeit hat immer deshalb auch Spaß gemacht, weil nette Menschen dabei waren. Ich habe es nie als eine große Belastung gesehen.

Jochen: Ich hatte eigentlich nicht so richtig ein konkretes Berufsziel. Ich bin meinen Neigungen und Interessen gefolgt und dachte, das wird sich alles einfach schon ergeben. Und dann, als ich dann wirklich ins Berufsleben eingestiegen bin, bin ich im Journalismus gelandet.


Wie sehr, glaubst du, spiegelt das deine Generation wider?


Jochen: Hundertprozentig. Es gab in den Siebzigern eine Zeichentrickserie, die hieß „Grisu, der kleine Drache“. Die handelte von einem Drachen, der Feuerwehrmann werden wollte, obwohl Drachen ja eigentlich Feuer spucken. Die Message war: Wenn du irgendwas willst, dann geht das schon. Viele waren so in meiner Generation.


Wie verändert sich denn unsere Arbeitswelt gerade in euren Augen?


Jochen: Früher ist man zu einer großen Firma gegangen und das war dann sozusagen die Arbeiterfamilie bis zur Rente. Seit dem Corona-Homeoffice lösen sich die sozialen Zusammenhänge zunehmend auf. Und das hat Vorteile, manche Leute kommen da super mit klar. Ich bin Freiberufler, das ist genau das Modell, das ich seit ein paar Jahren fahre. Aber ich glaube nicht, dass es nur eine gute Entwicklung ist. Ich komme auf der Arbeit mit Leuten zusammen, die ansonsten nicht meine Freund*innen sind, mit denen ich nicht reden würde. Dadurch kriege ich Verbindung in die Gesellschaft rein und schaffe Verbindungen, die die Gesellschaft zusammenhalten. Vieles davon löst sich auf.


Inge: Mir fällt auf, dass viele junge Leute viel zu lange in ihrer Ausbildung stecken, bevor sie überhaupt mal in die praktische Arbeit kommen. Die Leute vergessen, dass sie auch später weniger Rente bekommen, je weniger Berufsjahre sie haben und in die Rentenkasse einzahlen.


Alfred: Das möchte ich gerne unterstreichen. Man wollte früher so schnell wie möglich in den Beruf, man wollte auch Geld verdienen. Und die eine Frage stand immer im Hintergrund mit Mitte 20: Kann ich mit dem, was ich jetzt verdiene, eine Familie ernähren? Es hieß: Entweder Vogel friss oder stirb. Und der eine Beruf hat oftmals nicht ausgereicht. Damals haben in der Stadt viele Menschen gehungert. Mein Vater hat 52 Stunden in der Woche gearbeitet. Abends ist er [von der Arbeit] nach Hause gekommen, hat Suppe gegessen und ist dann zwei Stunden aufs Feld gegangen. Mit sieben Jahren mussten wir nach den Hausaufgaben auf dem Acker unterstützen.


Wurde von dir als junges Mädchen das gleiche erwartet, Oma Inge?


Inge: Nach der Schule machte ich die Küche sauber und dann meine Hausaufgaben und kam dann später aufs Feld nach. Aber ich habe es gerne gemacht. Geschadet hat es mir nicht.


Habt ihr beide das damals als Arbeit wahrgenommen?


Inge: Das war halt der Alltag. Es gab ja nicht diese Hilfsmittel. Heute sind es [technische] Errungenschaften, die das Leben ganz klar vereinfacht und die Menschen auch zufriedener gemacht haben. Als wir einen Traktor bekommen haben, war ich stolz wie andere, wenn sie ihren ersten Mercedes gekriegt haben.


Alfred: Was sich nicht geändert hat, das ist dieses Engagement der jungen Leute bei der Arbeit. Dass einer sagt, die Arbeit wird ihm zu viel, das gab es nicht. Arbeit kann nicht immer nur Spaß machen.


Welche Rolle spielt die Pandemie in diesem Prozess?


Lara: Jetzt im Nachhinein, wo alles wieder in Präsenz stattfindet, sind Leute kritischer geworden, weil sie sich bewusster aussuchen konnten, was sie mit ihrer Zeit machen. Nach einem Uniseminar zum Beispiel beschwerten sich Leute, dass man diese Zeit sinnvoller hätte nutzen können. Online hast du immer die Möglichkeit, deine Kamera auszuschalten und irgendwas anderes zu machen, wenn du das sinnvoller findest. Inzwischen gibt es eine andere Einstellung dazu: Was ist effektive Zeitnutzung? Wie viel Freiheit könnte ich eigentlich haben, um meine Zeit selbst einzuteilen oder um selbst zu bestimmen, wie ich am besten lernen kann?


Sagt euch der Begriff New Work etwas? Und habt ihr das Gefühl, dass man überhaupt einen neuen Begriff braucht?


Alfred: New Work ist für mich kein Begriff. Ändern wird sich Arbeit immer, aber eines muss sie immer beinhalten: Dass sie ausreichen muss, um sich selbst und seine Familie zu ernähren und auch für die Zukunft, also für das Rentenalter, zu sorgen.


Inge: Problematisch finde ich, dass immer weniger junge Leute ein Handwerk lernen wollen. Wer das Zeug hat, der geht heute aufs Gymnasium, macht Abitur und will studieren. Dabei kann auch jemand der Abitur hat, als Schreiner, Schlosser und Maurer wunderbar leben. Deshalb müssen wir das attraktiver gestalten. Die Leute müssen prinzipiell ermutigt werden, zu sagen: Wer gerne mit den Händen arbeitet, aber auch Grips hat, der kann doch auch ein Handwerk lernen.


Lara: Ich bin noch nicht über New Work gestolpert. Ich glaube, dass viele Menschen in meiner Generation weniger darauf fokussiert sind, Karriere zu machen, um sich einen relativ hohen Lebensstandard leisten zu können. Weniger Leute haben den Lebensplan, eine Familie zu gründen. In Umfragen zum individualistischen Arbeiten zeigt sich, dass meine Generation es größtenteils total doof findet, angestellt zu sein, und dass alle sich selbstständig machen wollen.


Jochen: Agiles Arbeiten ist das Ding, das mir so viel begegnet ist. Und das heißt, es ist wieder der „flexible Mensch“. Man stellt gar nicht an, sondern vergibt Projektverträge. Jeder sitzt zu Hause und wird nur auf Bedarf angerufen. Das ist die Arbeitsrealität, in der ich mich befinde.


Wie hat sich die Rolle von Arbeit in deinem Leben verändert, als du vom Angestelltenverhältnis zur freiberuflichen Arbeit gewechselt bist, Jochen?


Jochen: Radikale Veränderung. Als Journalist arbeitest du in einem kreativen Beruf. Und trotzdem mussten wir zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sitzen. Dann durften wir von dann bis dann Mittagspause machen und dann ging es nach Hause. So funktioniert die Arbeit nicht. Also habe ich meine Umgebung optimiert auf Neugier – Neugier und die Sachen in meinem Takt machen können.


Wie sehr ist oder war euer Job Teil euer Identität?


Alfred: Wenn man seinen Job sinnvoll ansiedelt, ernst nimmt, dann wird das automatisch ein Stück seiner Identität. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Ich weiß, man empfindet das nicht immer angenehm, aber irgendwo wird man ein Teil seiner Aufgabe, ohne dass man das bewusst ansteuert. Wenn du einen Job hast, der dich ausfüllt, dann passiert das ganz automatisch.


Lara: Für Freund*innen von mir ist die kreative Arbeit das Wichtigste, auch wenn man damit nicht so viel oder sogar gar kein Geld verdient. Leute identifizieren sich viel mehr über ihre kreative Arbeit. Ihr Job ist dann nur da, um wirklich Geld zu verdienen, damit sie dann in ihrer Freizeit kreativ arbeiten können.


Jochen: Ich hatte Momente in meinem Leben, wo ich wirklich Berufung empfunden habe. Berufung ist mehr als nur Identität.


Inge: In meiner kurzen Berufstätigkeit habe ich mich schon sehr damit identifiziert und war auch sehr glücklich. Als ich dann das Kind bekommen hatte, reichte ein Gehalt, um die Familie zu ernähren. Und damit bin ich praktisch ausgestiegen. Ich habe der Sparkasse nachgetrauert und ich wäre furchtbar gern noch arbeiten gegangen. Ich habe mich in die neue Arbeit daheim und als Elternteil hinein vertieft. Es ist durchaus auch sehr erfüllend. Ich habe eine wichtige Funktion zu Hause übernommen. Darüber hinaus hat man dann die Möglichkeit, auch im Ehrenamt mitzuarbeiten.


Zugespitzt gefragt: Wenn Selbstverwirklichung und Sinnhaftigkeit daraus besteht, dass wir irgendetwas von Wert schaffen, ist unsere Generation Z dann einfach faul?


Lara: Wir sind halt einfach anders aufgewachsen. Wir haben das Gefühl von Notwendigkeit weniger. Den Druck, schnell Geld zu verdienen, haben viele in unserer Generation nicht mehr. Wir haben die Freiheit und Auswahl zu entscheiden, wie und wo wir leben wollen. Wir sind uns viel bewusster, wie viel Angebot es überhaupt gibt.

Alfred: Es gibt ein bisschen zu viel Suchen nach Spaß. Viele unserer Jugendlichen möchten irgendwas studieren, ohne darüber nachzudenken, was am Ende kommt.


Jochen: Ne, ihr [jungen Menschen] seid nicht faul. Ich habe eher den Eindruck, dass eure Generation straighter und zweckrationaler ist als meine. Ihr habt mehr Effizienz. Effizienz war keine Kategorie für unsere Generation. Bei uns ging es eher darum „Nobody cares!“. Es hat keine Sau gejuckt, was du im letzten Semester gemacht hast. Wir wurden dazu erzogen, wirklich nur aus uns selbst heraus eine Welt zu erschaffen, in der wir genügend Geld verdienen, um eine Familie ernähren zu können. Aber man darf sich nichts vormachen: Die Leute, die hier in dieser Runde sitzen, sind nicht hundertprozentig repräsentativ für das, was da draußen abgeht. Viele Leute machen den Job, von dem sie zu Tode gelangweilt sind. Aber sie machen es, weil die Kohle her muss und man die letzten Jahre halt noch durchzieht.


Inge und Alfred, wenn ihr heute noch mal in die Arbeitswelt starten könntet, wo lägen eure Prioritäten?


Alfred: Selbstständig zu sein, hat was. So eine sinnvolle Tätigkeit, hinter der man steht. Ein angenehmes Betriebsklima und nicht 100 Kilometer weit weg von zu Hause.


Inge: Wenn ich was suchen würde, würde ich gucken, dass ich einen Job vor Ort bekomme. Damit ich die Zeit, die mir dann noch am Tag bleibt, ohne lange Wege für meine Hobbys nutzen kann. Auch, dass ich mehr Freiheit im Job habe und man immer auch auf persönliche Bedürfnisse eingeht. Wenn ich jetzt in eurer Generation gewesen wäre, hätte ich mich wahrscheinlich für so eine technische Sache interessiert. Jetzt diese vielen Videos und Audios und diese ganzen Dinge, da hätte ich vielleicht so Informatik gemacht.


Statistisch gesehen arbeiten wir so wenig wie noch nie heute. Wie kommt es, dass alle sich permanent überarbeitet fühlen?


Alfred: Die Leute haben stärkeren Druck, verkaufen zu müssen. Ich hab das von einem Kollegen gehört, der eine zeitlang Kundenberater bei einer Bank war. Die mussten täglich Rapport geben, wie viel sie an Produkten verkauft haben. So etwas gab es früher nicht. Man muss heute überall so viel dokumentieren. Hier mehr Freiheit zu schaffen und mehr Selbstverantwortung zu geben, das wäre ein Konjunkturprogramm für unsere ganze Wirtschaft und würde die Leute am Platz etwas glücklicher machen.


Lara: Das hat viel mit Leistungsdruck zu tun. Durch den Fachkräftemangel im Gesundheitssektor und in der Pflege müssen alle, die da sind, noch mehr leisten. Als ich in der Psychiatrie mein Praktikum gemacht habe, war es normal, dass du krank zur Arbeit kamst, weil da niemand ist, der mich ersetzen kann.


Was jetzt? Wie gehen wir mit den Veränderung der Arbeitswelt um?


Inge: Der Arbeitsmarkt wird sich immer verändern. Ob es eine gute Entwicklung ist, das zeigt sich dann später. Man kann es ja nicht stoppen, oder? Wir müssen aber alle mitnehmen. Es gibt viele Leute, die glücklich sind in jener Arbeit, die ihnen diktiert wird. Die wollen keine Überraschungen, die wollen nicht jeden Tag was anderes haben. Aber die sind trotzdem zufrieden. Andere wollen Abwechslung in ihrem Job. Aber: Man kann nicht von morgens bis nachts fröhlich arbeiten. Man muss sich hier und da Freiräume schaffen, damit man glücklich ist.


Jochen: Ich war 2019 auf einer Konferenz und da haben alle darüber geredet, wie irrsinnig schnell sich alles geändert hat. Dann meinte einer: „Wir werden nie wieder so eine ruhige Kugel schieben wie heute.“ Da war Gelächter im Raum, weil alle sagten: „Wir schieben keine ruhige Kugel. Es ist Irrsinn, das Tempo.“ Und der Mann hatte vollkommen recht. Was sich allein schon seit 2019 verändert hat in der Arbeitswelt, ist irre. Ob es gut ist oder schlecht, weiß ich nicht. Ich habe nur den Verdacht, dass die Veränderung sich beschleunigt und dass es so weitergeht.


Lara: Veränderung kommt ja nicht ohne Grund. Dadurch, dass es so ein hohes Tempo hat, werden Kursänderungen vielleicht noch schneller umgesetzt. Andererseits: Wenn ein Objekt mehr Geschwindigkeit hat, ist es auch schwieriger, die Bahn umzulenken.

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