Mut funktioniert wie ein Muskel; er muss „trainiert“ werden, um stärker zu werden, braucht jedoch auch Regenerationsphasen, um weiterhin wachsen zu können. Doch diese Regenerationsphasen bleiben bei uns, der Generation Z, momentan eher aus; wir schlittern von einer Krise in die nächste und es bleibt kein Raum, um zu ruhen, sich zu erholen und an gemeisterten Herausforderungen zu wachsen. Kriege, Hungersnöte, die Klimakrise und gesellschaftliche Spaltungen gehören zu unserem Alltag, und Tag für Tag werden wir mit neuen Entscheidungen und Problemen konfrontiert. Der Muskel „Mut“, besonders im Hinblick auf die eigene Zukunft, wird überstrapaziert, es fällt uns schwer, unseren Mut und unser positives Denken beizubehalten. Doch woran genau könnte das liegen? Was macht uns Angst, was beschäftigt uns als Generation Z?
u und deine Kameraden aus dieser Schneeflockengeneration – ihr wisst doch gar nicht, was richtige Arbeit bedeutet. Genauso wenig, wie ihr gelernt habt, euch anzustrengen oder einfach mal etwas zu Ende zu bringen“, lautete die Antwort meines damaligen Chefs auf meine Kündigung, nachdem ich als 16-Jährige in seiner Bäckerei gearbeitet hatte. Ich las seine Nachricht mehrere Male. Währenddessen breitete sich in mir ein Gefühl aus, das ich nur schwer einordnen konnte, sich aber so anfühlte, als hätte ich versagt. Der Grund für meine Kündigung war, dass meine Schicht sonntags von 6 bis 12 Uhr morgens ging. Ich durfte keinerlei Trink- oder Essenspausen einlegen und bekam nicht einmal den Mindestlohn. Außerdem war ich nach einer Schicht immer völlig ausgelaugt und hing am nächsten Tag in der Schule nur noch zwischen den Seilen. War ich zu schwach? Hatte ich versagt?
Verwöhnt, faul und fordernd, keinem Druck gewachsen, motivations- beziehungsweise mutlos und handysüchtig: Dies sind Adjektive, mit denen meine, bzw. unsere Generation zuletzt medial, aber auch privat beschrieben wird. Doch was steckt dahinter? Warum fällt es uns, der GenZ, schwer, positiv in die Zukunft zu blicken und für eine positive Zukunft zu kämpfen?
Vom Regen in die Traufe
Hartes Arbeiten zahlt sich aus, das weiß Mia. Seitdem sie klein ist, hat die 21-jährige Medizinstudentin einen Traum: Sie will Ärztin werden. Menschen helfen, Menschen heilen. Für ihren Platz an der Georg-August-Universität Göttingen hat sie hart gearbeitet; ihr Abi war 0,4 Punkte unter dem gewünschten NC von 1,0, also absolvierte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Facharztklinik Hamburg, um sich dieses für einen Studienplatz anrechnen zu lassen. Gleichzeitig hatte sie noch zwei andere Jobs, um Geld zu verdienen, und lernte für den harten Medizinertest – jeden Tag, unermüdlich. Und sie hat es geschafft: Seit knapp einem Jahr studiert sie Medizin, um später ihren Traumberuf ausüben zu können. Doch das Studium ist hart; es bedeutet, Tag und Nacht zu lernen und Schlaf sowie Aktivitäten außerhalb des Studiums hintenanzustellen. „In dem Fach, das ich studiere, ist völlig klar, dass es für die Zeit nach dem Abschluss keine guten Aussichten gibt. Wir werden jetzt schon darauf vorbereitet, danach in eine Arbeitswelt geworfen zu werden, die einen fast komplett ausbeutet, wo man sehr viel und sehr hart arbeiten muss“, antwortet sie auf meine Frage, wovor sie sich in der zukünftigen Arbeitswelt des Gesundheitswesens fürchtet.
Diese Befürchtung ist sehr aktuell und sehr schwerwiegend: Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen nimmt schon heute dramatische Ausmaße an. Voraussichtlich wird er im Jahr 2035 bei ca. 1,8 Millionen offenen Stellen 35 % betragen.1 Dieser Mangel an medizinischem Personal führt zu einer noch höheren physischen und psychischen Belastung in diesen Berufen; „70 % der Ärzt:innen und Pflegekräfte klagen über die körperliche Belastung ihres Berufes, fast 60 % über die psychische“, zeigen die Ergebnisse einer Umfrage von „Roche“, einem der größten Biotechnologieunternehmen.2
Ein weiterer Grund für fehlende Fachkräfte sei laut dieser Studie auch die geringe gesellschaftliche Anerkennung und vor allem die verhältnismäßig niedrigen Löhne. Für 70 % der befragten auszubildenden Pflegekräfte sei eine Gehaltserhöhung notwendig, damit sie sich vorstellen könnten, ihren Beruf bis zur Rente auszuüben. Dass dieser Mangel nicht nur in diesem Bereich tiefe Spuren hinterlässt, haben wir im letzten GENZ-Magazin bereits thematisiert. Schau dafür mal auf GENZ-hamburg.de nach!
All diese eben genannten Aspekte sind entmutigend und abschreckend für Berufseinsteiger:innen und erklären vielleicht auch, warum eine relativ hohe Anzahl an Medizinstudent:innen ihr Studium abbricht oder sich nach dem Abschluss letztendlich dazu entscheidet, doch nicht im Gesundheitswesen arbeiten zu wollen. Eine Umfrage, die von der „Swiss Medical Students’ Association“ unter 2.300 Medizinstudent:innen im Durchschnittsalter von 23 Jahren durchgeführt wurde, ergab, dass 43 % der Studierenden im 6. Semester über einen Abbruch nachdeken. Der Ursprung dieser Skepsis und Gedanken ist tatsächlich die entmutigende Aussicht auf einen Job mit unausgewogener Work-Life-Balance.3 Generell gelten für junge Menschen im Arbeitsmarkt eher schlechte Bedingungen. „Sie leiden am stärksten unter der Prekarisierung der Arbeit, gekennzeichnet durch eine Zunahme verwundbarer Beschäftigung wie Befristungen, Leiharbeit, Werkverträge, Niedriglöhne und Scheinpraktika“, schreibt die „Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen.“ Des Weiteren arbeite über die Hälfte der jungen Beschäftigten zu Niedriglöhnen und „prekären Bedingungen“, nur jeder dritte Jugendliche mit abgeschlossener Ausbildung werde unbefristet übernommen. Das Urteil der Stiftung: Junge Menschen werden heute wie Arbeitnehmer zweiter Klasse behandelt.4
Oft wird uns, als GenZ, vorgeworfen, uns nicht genug anzustrengen und aufzugeben, sobald es härter oder beschwerlicher wird. Bestimmt meinte mein Chef genau das, als er mir damals vorwarf, dass ich, als ein Teil der GenZ, verweichlicht sei und wir alle nie gelernt hätten, hart zu arbeiten. Doch ist es fair, uns deswegen als „verweichlicht“ zu bezeichnen, weil man nicht zu den jetzt schon 67 % der Studierenden oder 66 % der Auszubildenden gehören möchte, die ihr Stressempfinden als „sehr hoch“ einschätzen?5 Wie kann man uns einen Vorwurf daraus machen, im „Work-Life-Balance“-System mehr auf die Balance zwischen der Arbeit und unserem Leben zu achten?
Mittlerweile kann ich mein damaliges Gefühl des Versagens eher einer gewissen Mutlosigkeit zuordnen. Denn wenn man schon während der Schulzeit, des Studiums oder der Ausbildung unter hohem Stress leidet und die aktuellen Entwicklungen des Arbeitsmarktes verfolgt, wird es schwierig, Mut und den positiven Blick auf die eigene Zukunft innerhalb des Arbeitsmarktes beizubehalten.
Rosige Aussichten
„Ich mache mir Sorgen. Einerseits hoffe ich irgendwie, dass alles normal und gut sein wird, andererseits weiß ich ja, dass es nicht so wird“, erklärt mir Anne, eine 17-jährige Schülerin. Ich habe sie befragt, damit auch die Stimme der Schüler:innen repräsentiert wird. Worüber sie sich Sorgen mache, will ich wissen. „Einerseits ist es der Rechtsextremismus, weil ich denke, dass sich viel Geschehenes immer wiederholt, und andererseits habe ich auch Angst, dass der Frieden bei uns kein dauerhafter Zustand ist und es mehr und mehr Kriege gibt.“
Die von ihr genannten Themen sind unter anderem auch diejenigen, die die meisten der 14- bis 17-Jährigen im Rahmen einer Studie vom 12. Juni 2024 als größte Sorgen genannt haben. Als „sehr bedeutsam“ bewerten die Befragt jedoch vor allem ihre Sorgen im Hinblick auf finanzielle Abhängigkeit, Einsamkeit, Schulleistung und die Wohnungsmarktsituation. Auch die bevorstehenden „Übergänge“ der eigenen Lebensabschnitte bereiten den Befragten besonders Sorgen, gerade der Wechsel von der Schule auf den Arbeitsmarkt bzw. auf die Uni wird häufig genannt.6
Der Grund hierfür: Die mangelhafte Vorbereitung auf das Berufsleben durch die Schulen. 67 % der 14- bis 21-Jährigen vertreten die Meinung, dass die Schule sie nicht ausreichend auf die Zeit nach der Schule beziehungsweise auf das Berufsleben vorbereitet oder vorbereitet hat.7 „Wenn man so sieht, was da gerade für Menschen an die Macht kommen, fragt man sich schon, was das für Auswirkungen haben wird“, antwortet Mia auf meine Frage nach Sorgen oder Zweifeln. Macht sie das mutlos? „Irgendwie schon, ja. Als normale:r Bürger:in ist man gefühlt einfach komplett machtlos in Bezug auf das große Weltgeschehen, vor allem als kleiner Studi.“
Natürlich ist es wichtig zu betonen, dass es in einer Demokratie wie in Deutschland Möglichkeiten gibt, politisch aktiv zu werden - das Gefühl, dadurch wirklich etwas zu erreichen, haben Jugendliche eher weniger. Die Sinusstudie von 2020 zeigt: „Nicht nur Desinteresse und Langeweile halten die Jugendlichen davon ab, sondern auch das Gefühl von Macht- bzw. Einflusslosigkeit und die Überzeugung, als Minderjährige nichts ausrichten zu können oder im Zweifel nicht einmal gehört zu werden.“ Es gebe also durchaus ein politisches Interesse der Befragten, ein Gefühl der fehlenden Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen führe jedoch zu Unmut und Widerwillen sowie auch zu offensichtlichem Desinteresse.8 Doch genauso wie es Menschen gibt, die ihre Möglichkeiten an politischer Teilhabe wenig oder fast gar nicht ausschöpfen, gibt es auch Menschen, die sich Tag für Tag engagieren und für das aufstehen, was ihnen besonders am Herzen liegt. Eine von ihnen ist Annika Rittmann. Die 21-Jährige ist Pressesprecherin der Organisation „Fridays for Future“ in Hamburg. Sie ist jedoch nicht nur Aktivistin und zuständig für Pressearbeit, sondern studiert auch Mensch-Computer-Interaktion. Als ich sie nach ihren Gefühlen im Hinblick auf die Zukunft frage, erwidert sie, sie verspüre „einen Mischmasch aus verschiedenen Gefühlen“. Angst vor der Zukunft habe sie jedoch nicht, vielmehr „davor, dass wir es nicht schaffen, uns als Gesellschaft weiterzuentwickeln, und davor, dass Dinge so bleiben, wie sie sind und somit, perspektivisch gesehen, eher schlechter werden.“ Besonders die Klimakrise sei eine große Bedrohung für uns. „Ich habe das Gefühl, dass politisch sehr viel der Zustimmung für Klimaschutz, die wir als Bewegung mit Fridays for Future in den letzten Jahren erarbeitet haben, verspielt wurde, und mache mir Sorgen, wie wir diese wieder zurückgewinnen können. Wir dürfen auf keinen Fall Krisen priorisieren, sondern müssen Entscheidungen treffen, die in der Zukunft tragen“, erläutert Annika.
Die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ zeigt, dass sie mit ihren Sorgen nicht allein ist. Sie basiert auf einer repräsentativen Befragung von 2.042 Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren; nur 45 % der Befragten bereitet der Klimawandel Sorgen. Am meisten sorgen sich die jungen Menschen um ihre finanzielle Zukunft (Inflation 65 %, teurer Wohnraum 54 % und Altersarmut 48 %).9
Warum der Klimawandel nur auf dem 4. Platz der „größten“ Sorgen liegt, könnte auch an mangelnder Aufklärung der Jugendlichen liegen; ein im Mai veröffentlichter Beitrag des ZDF zeigt beispielsweise, dass 20 % der 12- bis 19-Jährigen in Deutschland noch nie vom Klimawandel gehört haben, dennoch sind 87 % der 1.500 Befragten der Meinung, dass der Klimawandel auch sie betreffen wird.10
„In diesem Leben ist jeder mutig, der nicht aufgibt“, sagte einst Paul McCartney; und wo er recht hat, hat er recht. Was wir brauchen, ist Mut, Ausdauer und Kraft. Die Umstände vereinfachen uns das Mutigsein nicht gerade; für mich sind vor allem die Gefühle von Frustration, Unsicherheit und Machtlosigkeit die Ursache von zu hohen Bildschirmzeiten und meiner eher negativen Einstellung zum Thema Weltpolitik. Vor einer Demonstration plagen mich oft Gedanken wie „Bringt das jetzt überhaupt was?“ oder „Macht das jetzt irgendeinen Unterschied?“ So sollte es natürlich nicht sein, doch was man braucht, um sich zu motivieren und aktiv zu werden, besser gesagt, was wir alle brauchen, ist einerseits das Gefühl, etwas verändern zu können, andererseits auch Mut, für das, was einen bewegt, aufzustehen.
Wir müssen uns mit den Vorurteilen gegenüber unserer Generation, die uns belasten, lösen und den älteren Generationen klarmachen, warum wir so sind, wie wir sind. Gebe ich „Generation Z Merkmale“ in meine Suchleiste bei Google ein, lautet der erste Satz, den ich lese: „Sie ist immer online. Das Real Life ist mit dem digitalen verschmolzen.“ Doch das ist nicht das, was uns ausmacht, es ist viel mehr als das. „Die GenZ strebt danach, dass es gerecht in der Welt zugeht und alle Menschen die Möglichkeit zur individuellen Entwicklung haben“, lese ich in einem Artikel von Personio, der sich auf eine PWC-Studie bezieht.11 Ja, wir sind eine von Krisen und Pandemien geprägte Generation, doch die Vorurteile, die uns angehängt werden, wären dringend überarbeitungswürdig. Denn hinter Adjektiven wie „faul“, „unverbindlich“ oder „mutlos“ verbergen sich andere, positive Charaktereigenschaften der Generation Z. Und es reicht nicht, die Generation Z als „abgehängt“ abzustempeln, sondern es wäre an der Zeit, die Ursachen für bestimmte Verhaltensweisen zu finden und gemeinsam dagegen vorzugehen. Denn nur so können wir als Gesellschaft auch in Krisen bestehen bleiben, nur durch Mut, Ausdauer und Kraft können wir unsere Sorgen sichtbar machen und nur durch Aktionen können wir verdeutlichen, wie wichtig wir eigentlich für die Welt sind. Wir, die Generation Z.
(1&2) Roche, 2022: Fachkräftemangel im Gesundheitswesen, online, roche.de (6.8.2024)
(3) Praktischarzt: Viele Medizinstudierende denken über Abbruch nach, online, praktischarzt.ch (6.8.2024)
(4) Generationsgerechtigkeit: Lage der jungen Generation auf dem Arbeitsmarkt, online, generationsgerechtigkeit.info (6.8.2024)
(5) Swisslife: über Alltagsstress, online, swisslife.de (6.8.2024)
(6, 8) BpB: Wie ticken Jugendliche? online, bpb.de (6.8.2024)
(7) Bertelsmann Stiftung: Die meisten Jugendlichen blicken positiv in die Zukunft, online, bertelsmann-stiftung.de (6.8.2024)
(9) Simon Schnetzer: Trendstudie ‚Jugend in Deutschland‘, online, simon-schnetzer.com (9.8.2024)
(10) ZDF Instagram, 21.5. 2024: Jede/r fünfte Jugendliche hat noch jie vom Klimawandel gehört (26.8.2024)
(11) Personio: Merkmale, Werte der Generation Z, online, personio.de (29.8.2024)
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