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AutorenbildTillmann Iwersen

The Future is now ... oder?

Prognosen sind ja bekanntermaßen immer schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Und selbst unsere Elphi ist leider nicht groß genug, um über dem Hafen noch einen Blick in die Zukunft zu erhaschen. Wie gut also, dass wir, zumindest was die Arbeitswelt angeht, schon jetzt einen großen Schritt aus der Gegenwart heraus und in die Welt von Morgen gemacht haben … oder?


„Die Zukunft ist jetzt“ könnte man meinen, wenn man einen Blick auf die Stellenanzeigen der Hansestadt wirft oder abtaucht in die Tiefen von LinkedIn und Xing. Fast fühlt man sich wie auf dem Hamburger Fischmarkt, auf dem, anstatt Fische anzupreisen, mit den neusten und wohlklingendsten Begriffen der Arbeitswelt um sich geschmissen wird: „Hier einmal Homeoffice und flexible Arbeitszeiten. Digital Leadership ist auch dabei. Nenn’ mich verrückt, aber ich werf’ noch ’nen Stremellachs und Off-Sites obendrauf!“ Und bei dieser ganzen digitalen Marktschreierei darf natürlich ein Begriff nicht fehlen: New Work. Dieses Wort dürfte wohl jeder und jedem schon einmal über den Weg gelaufen sein. Was genau aber damit gemeint ist, ist nicht immer eindeutig und die New-Work-Definition eine Frage für die Wissenschaft.


New Work: Kann man das essen oder spielt man das zu viert?


Denn der Begriff ist nicht, wie man meinen könnte, erst in den letzten Jahren entstanden. Seinen Ursprung findet New Work schon in den 1970er und 1980er Jahren bei dem Sozialphilosophen Frithjof Bergmann, der sich intensiv mit dem Verhältnis von Mensch und Arbeit beschäftigte. Der Begriff versteht sich damals noch deutlich theoretischer als ein alternatives Modell der Arbeit im kapitalistischen Wirtschaftssystem, in dem ein neues Beschäftigungsmodell die klassische Erwerbsarbeit ersetzt. Dabei würden die Arbeitnehmer*innen nur noch ein Drittel ihrer Arbeitszeit für die klassische Erwerbsarbeit verwenden. Ein weiteres Drittel fiele dann auf die Beschäftigung in neuen Hightechunternehmen, die durch ihre Innovation die Technologien der Vergangenheit ersetzen würden. Im letzten Drittel würden die Angestellten schließlich Arbeit verrichten, auf die sie wirklich Lust haben.(1) Wie man sieht, geht es beim ursprünglichen New-Work-Begriff also um eine ganz spezielle Form von Arbeit. Spaziert man heutzutage Sonntagfrüh über den Fischmarkt und unterhält sich dabei über New Work, meint man (es sei denn, man selbst oder die Person gegenüber ist zufällig Sozialphilosoph*in) höchstwahrscheinlich etwas anderes. Denn in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelte sich der Begriff mehr und mehr zu einem Buzzword und beschreibt mittlerweile die tiefgreifenden Veränderungen und das Aufbrechen von alten Praktiken und Regeln der bisherigen Arbeitswelt sowie die Folgen, die dieser Wandel mit sich bringt.(2) Und auch wenn das alles furchtbar abstrakt klingen mag: New Work meint auch ganz konkrete Maßnahmen, die Arbeitgeber*innen im Sinne von Arbeitnehmer*innen in ihren Unternehmen einsetzen. Es geht also um Veränderungen für Arbeitnehmer*innen, die uns deshalb alle etwas angehen.(3)


In welche Richtung diese Maßnahmen gehen sollen, ist klar: Viele Arbeitgeber*innen sehen es im Rahmen des New-Work-Begriffs als ihre Aufgabe, das psychologische Empowerment von Arbeitnehmenden (ebenfalls ein Begriff, der wie für die digitale Marktschreierei gemacht zu sein scheint) zu stärken. Für sie sind „New Work […] verschiedene Maßnahmen, die die Zielsetzung haben, das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden zu steigern; das heißt das Erleben von Sinnhaftigkeit, Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz am Arbeitsplatz.“(4)




Ich war noch niemals in New Work: Wie New Work heute in der Praxis aussieht – Corona als Brandbeschleuniger


Für New Work(5) war die Corona-Pandemie so ein bisschen wie Zeitmaschine und Brandbeschleuniger zugleich. Fragt man Wissenschaftler*innen, sprechen sie oft von drei direkten Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitswelt: Zuerst wurden Entwicklungen, die sowieso schon auf dem Weg waren, beschleunigt. Zweitens hat die Pandemie dazu beigetragen, die Arbeitswelt umzugestalten, und drittens führte Corona zu einer Normalisierung von Praktiken, die vorher bestenfalls als experimentell galten.(6) Dr. Mathias Dolls, stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen in München, bringt es auf den Punkt, indem er sagt: „Nie zuvor hat irgendein Ereignis in so kurzer Zeit derart umfassend das Arbeitsleben umgekrempelt.“(7) Und bei dieser Veränderung waren wir alle live dabei. Von jetzt auf gleich konnten Menschen in aller Welt und natürlich auch in Hamburg miterleben, wie sich ihr Arbeitsalltag auf einen Schlag verändert hat. Und auch wer noch nicht gearbeitet hat, konnte, zum Beispiel in Schule und Uni, einen kleinen Vorgeschmack auf das erhaschen, was laut Wissenschaftler*innen zur Normalität werden wird. Gemeint ist alles, was sich um die Begriffe Homeoffice, Remote Work und die hybride Arbeit (also um Jobs, in denen mal von zu Hause aus und mal im Büro gearbeitet wird) dreht. Vor Corona noch oftmals als Zukunftsdenken abgetan, war das Homeoffice während der Hochphase der Pandemie nicht mehr wegzudenken, hat sich mittlerweile in Deutschland etabliert.(8)


Die Ergebnisse des sogenannten New-Work-Barometers 2021 unterstreichen noch einmal diesen Fokus, den viele Arbeitgeber*innen legen, wenn es darum geht, New Work heutzutage umzusetzen. Das New-Work-Barometer ist ein Forschungsprojekt der SRH Berlin University of Applied Sciences. Die Wissenschaftler*innen befragen dabei Führungskräfte und Mitarbeitende aus kleinen, mittleren und großen Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum zu ihrem Verständnis und zu Maßnahmen rund um die Formen des neuen Arbeitens. Im Rahmen dieser Studie wurden teilnehmende Unternehmen gefragt, welche New-Work-Maßnahmen sie bei sich einsetzen. Die häufigsten drei Antworten sprechen dabei eine eindeutige Sprache. Die Arbeitsortautonomie, also das Homeoffice und die mobile Arbeit, belegen den ersten Platz. Mehr als 72 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, Maßnahmen ergriffen zu haben, die in diesen Bereich fallen. Dahinter folgen die Ausgabe von mobilen Technologien (wie zum Beispiel Handys und Laptops) und die Arbeitszeitautonomie, also flexible Arbeitszeiten, die von den Arbeitnehmenden mitbestimmt werden, auf Platz zwei und drei. Für die Macher*innen der Studie ist klar: „Digitales, flexibles Arbeiten außerhalb des Büros scheint das New Work der Pandemie gewesen zu sein“ und „mit der Popularität von mobilen Arbeiten und Homeoffice ist New Work im Mainstream angekommen“.(9)


New Work – war’s das schon?


War es das jetzt also? Ein bisschen Homeoffice hier, ein wenig mobile Arbeit dort: Ist das alles, was New Work zu bieten hat? Quasi dasselbe nochmal – zwar nicht in Grün, aber von zu Hause aus und zu flexibleren Arbeitszeiten? Wer aufmerksam mitgelesen hat, könnte sich nun die folgende Frage stellen: „Moment mal, Arbeitsortautonomie, die Ausgabe von mobilen Technologien und Arbeitszeitautonomie; dabei geht’s doch nur um Selbstbestimmung. Was ist denn mit den ganzen anderen Aspekten von New Work, die oben noch so spannend und wünschenswert klangen: wie das Erleben von Sinnhaftigkeit und der Einfluss am Arbeitsplatz?“


Das New-Work-Konzept hätte hier in der Tat ein paar Vorschläge parat, wie man es beispielsweise gestalten könnte, dass der Einfluss von Arbeitnehmenden am Arbeitsplatz wächst. Eine gewählte Führung zum Beispiel oder eine demokratische Organisationsverfassung. Für diese Maßnahmen entscheiden sich Unternehmen momentan aber nur selten. Sie landen im New-Work-Barometer auf den hinteren Plätzen: Weniger als 10 % der befragten Firmen gaben an, auf solche Schritte zurückzugreifen. Tatsächlich kritisieren die Macher*innen der Studie, dass es sich die Unternehmen zu einfach machen, wenn sie es bei mobiler Arbeit und beim Homeoffice belassen. Denn für sie steht fest, dass Home-

office und mobile Arbeit nicht ausreichen, um die zukünftigen Herausforderungen zu lösen, mit denen sich die Zukunft der Arbeit konfrontiert sehen wird. Vielmehr müssten verschiedene New-Work-Maßnahmen eingesetzt werden, um auf die Arbeitswelt von Morgen vorbereitet zu sein.(10)


Butter bei die Fische: The Future is now … oder?


Jein. Denn wie man sehen kann, sind zwar Aspekte wie das Homeoffice schon jetzt bei uns angekommen; weitere und tiefgreifende Veränderungen lassen aber noch auf sich warten. Fest steht aber, dass es die künftige Arbeitswelt mit verschiedenen Chancen und Herausforderungen zu tun haben wird, die nach Lösungen verlangen: Sei es der Generationenwechsel von Babyboomern zu den Generationen Y und Z, die zunehmende Digitalisierung oder der Klimawandel. Es wird deshalb spannend zu beobachten sein, welche Antworten die Unternehmen in Zukunft im Rahmen von New Work auf die Herausforderungen von Heute und Morgen haben werden.

Das New-Work-Barometer deutet darauf hin, dass jeder Aspekt und jede Herausforderung ein eigenes Verständnis von New Work mit sich bringen kann; wir erinnern uns: „Digitales, flexibles Arbeiten außerhalb des Büros scheint das New Work der Pandemie gewesen zu sein.“ Wenn also Aspekte wie das Homeoffice und das hybride Arbeiten das New Work der Corona-Pandemie waren, wie sieht dann das New Work aus, das mit den zukünftigen Herausforderungen einhergeht? Was ist dann das New Work der Klimakrise? Und wie sieht das New Work des Generationenwandels und der Generation Z aus? Für jüngere Generationen sind zum Beispiel flache Hierarchien, eine gute Work-Life-Balance und eine sinnstiftende Arbeit von großer Bedeutung.(11) Es bleibt abzuwarten, wie die Antworten aussehen, die New Work in der Zukunft für uns bereithält, ob es tatsächlich zu einem New Work der Generation Z kommt und welche Maßnahmen uns erwarten.


Und wer weiß, vielleicht sind bei den digitalen (Arbeits-)Marktschreiereien der Zukunft Begriffe wie die „gewählte Führung“ und „demokratische Organisationsstrukturen“ bald genauso selbstverständlich wie das Homeoffice und flexible Arbeitszeiten.

 

Illustration: Wolfgang Wiler

 

Quellen

(1, 3, 5) Hackl, B. u.a., 2017: New Work: Auf dem Weg zur neuen Arbeitswelt. Wiesbaden, Springer Fachmedien.


(2) Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2022: Das New-Work-Barometer 2022: Befragung zu Formen neuen Arbeitens.


(4, 9, 10) Schermuly, C. C., Geissler, C., 2021: Ergebnisbericht zum New-Work-Barometer 2021, online srh-berlin.de [05.12.2022].


(6) Vyas, L., 2022: “New normal” at work in a post-COVID world: work–life balance and labor markets. In: Policy and Society 41, Nr. 1, S. 155–167.


(7, 8) Ifo Institut, 2022: Homeoffice etabliert sich in Deutschland mit 1,4 Tagen pro Woche, online ifo.de [16.11.2022].


(11) Schrörs, C. u. Kuhle, N., 2020: Das 5x5 Framework zur Zukunft der Arbeit. In: Sonderband: Zukunft der Arbeit. Hrsg. von J. Nachtwei u. A. Sureth. HR Consulting Review, S. 499–502.






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